Ein kalter, harter Wind pfeift von der Seeseite durch die Straßen und wirbelt ein wenig trockenes Vorjahreslaub vor sich her. „Heute wird wohl nicht viel los sein“, vermutet Marco Treptow, der mit festem Schritt seine erste Station – die Marienkirche – anstrebt. Der 45-jährige Streetworker, etwas bärig, bedächtig und in sich ruhend, ist auf einer seiner wöchentlichen Runden, die auch bei ungemütlichem Wetter stattfinden: Marktplatz, Hafen, alte Slipanlage und Schlosspark, später wird er noch im BISS-Jugendforum hereinschauen. „Die aufsuchende Arbeit ist der Inbegriff der Streetwork“, erzählt er von seiner Arbeit. „Man muss absolut zuverlässig sein, besonders, was Absprachen betrifft.“

Streetwork, finanziert von der Stadt Husum, ist in Husum in das Diakonische Werk Husum eingebunden. Der Pavillon an der Kidderminsterbrücke ist besonders für junge Leute ein fester Anlaufpunkt. Hier ist das Team, zu dem Marco Treptow gehört, Gesprächspartner in vielen Lebenslagen: „Es geht häufig um die Abwesenheit vom Schulunterricht, um Rat-, Perspektiv- und Antriebslosigkeit, um den Verlust familiärer Strukturen oder um mangelnde Unterstützung aus dem Elternhaus. Oft ist auch Drogenkonsum ein drängendes Thema. Viele junge Menschen leben in Einrichtungen – hier kommt es oft zu Konflikten mit Mitbewohnern, es fehlen positive Rückmeldungen. Das Streetwork-Team unterstützt bei Antragstellungen oder Behördengängen, kann weiterhelfen, vermitteln und Netzwerke aus verschiedensten Institutionen anzapfen oder beispielsweise dazu ermutigen, Bildungsstätten auch außerhalb von Nordfriesland aufzusuchen“, erzählt Treptow. Wichtig sei es, die jungen Menschen anzuregen, über den Tellerrand hinaus zu schauen und zu denken: „Dann passiert es oft, dass sie sich ausprobieren und positives Feedback erhalten – so sind sie auf einem guten Weg.“

Auf den Stufen vor der Marienkirche sitzen zwei junge Männer, zwei Afghanen, wie sich herausstellt. Als Treptow auf der Bildfläche erscheint, eilen sie sofort freudig grüßend herbei: Der Streetworker ist bekannt. Grundsätzlich wartet er aber nicht, bis er angesprochen wird, sondern geht direkt auf junge Menschen zu: „Ich ermutige sie oft dazu sich an das Team vom Pavillon zu wenden.“ Jetzt aber kommt der 19-jährige Mustafa gleich zur Sache. Nein, einen Ausbildungs- oder Praktikumsplatz habe er leider immer noch nicht, erzählt er in gutem Deutsch. Treptow ermutigt den jungen Mann: „Wir wollen mal schauen, was möglich ist. Demnächst können wir zusammen kochen.“ Die drei einigen sich auf eine kleine gemeinsame Kochaktion im Streetworkpavillon, das ist nicht üblich, nur eine Ausnahme, die aber in besonderen Fällen ungeheuer hilfreich sein kann: „Bratkartoffeln mit Gewürzgurken – dabei kann man einiges besprechen und regeln“, erläutert Treptow seinen Plan.

Von der anderen Seite ist gerade Mohammed Alrazak gekommen, Kulturmittler in der Fachstelle für Migration des Diakonischen Werks Husum. Auch er hält einen kurzen Schwatz mit Mustafa und seinem Freund. Seit rund zwei Jahren drehen Alrazak und Treptow gemeinsame Runden durch die Stadt. Auf kluge und geschickte Weise wird so der gesamte „interkulturellen Bereich“ abgedeckt. „Wir haben einen guten Draht zu den Menschen, wir wissen, wo deren Probleme liegen“, sagt Alrazak, der vielen neuen Mitbürger wohlbekannt ist. Alle können im Allgemeinen schon sehr gut Deutsch. Da sei sehr viel Respekt und Vertrauen vorhanden, das garantiere einen guten Zugang zu den Leuten, lautet Alrazaks Urteil.

Die Straße ist bei der aufsuchenden Sozialarbeit ein bedeutsamer Begegnungsraum. „Oft wird unsere Arbeit nicht ganz richtig interpretiert: Wir haben keinerlei Ordnungsfunktion, sondern sind eher eine Brücke zu anderen Teilen der Bevölkerung“, erklärt Treptow. „Ungelenkte Rückzugsräume, wie die Straße, muss es geben, dies sind oft die einzigen Bereiche, in denen die Kids unter sich sein können und dürfen, die wir von der Streetwork aber dennoch im Blickfeld haben.“ Begrüßen würden es sowohl Treptow als auch Alrazak, wenn die Akzeptanz für diese Rückzugsräume in der Bevölkerung wachsen und ein Bewusstsein dafür entstehen könnte, dass es sie – ohne sie als störend zu empfinden – geben dürfen muss.

Die letzte Station auf dem heutigen Rundgang ist das BISS Jugendforum. Hier freut sich besonders die 16-jährige Sophia über den Besuch der beiden Männer. Sophia wird im Sommer die Schule beenden und eine Ausbildung als Altenpflegerin antreten. Treptow ist ihr bekannt aus dem Schulalltag: Er arbeitet unterstützend in verschiedenen Projekten der Berufsschule Husum mit. „Dies stärkt den Klassenverband. Ich stehe für unterschiedliche Anliegen zur Verfügung, wenn beispielsweise etwas aus der Lebensgeschichte besprochen werden muss.“ Er ist momentan in einer Ausbildung zum Deeskalationstrainer und kommt aus Hamburg. Er arbeitete unter anderem in einem Hospiz für HIV-Kranke, in einer Drogenanlaufstelle auf Sankt Pauli und in der Psychiatrie: „Dies alles hat mir genügend Empathie und Lebenserfahrung für meine heutige Aufgabe als Streetworker gegeben.“

Zum Foto:
Aufsuchende Sozialarbeit: Streetworker Marco Treptow (links) und Kulturmittler Mohammed Alrazak steuern auf ihrem Rundgang durch die Stadt auch die alte Slipanlage an, um hier mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen.

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