Es ist eine Geschichte, die öfter passiert, als man im Allgemeinen denkt: Das Buch von Andrea Niendorf „Leon Flaschenkind“ erzählt aus der Sicht des elfjährigen Leon vom schwierigen Umgang mit seiner alkoholkranken Mutter. Im Rahmen der Präventionsarbeit des Diakonischen Werks Husum fand eine Lesung mit der Autorin in der Ferdinand Tönnies Gemeinschaftsschule statt. Zielgruppe waren 13- bis 14-jährige Schülerinnen und Schüler der achten Klasse. „In der schulischen Prävention haben wir schwerpunktmäßig mit den siebten bis neunten Klassen gearbeitet“, erklärt Jens Kiesbye von der Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke. Die Corona-Pandemie machte im weiteren Verlauf einen Strich durch die Rechnung, denn es konnte rund eineinhalb Jahre keine präventive Arbeit in der Schule stattfinden. Dennoch: „Wir hatten eine Reihe von Online-Angeboten gemacht; diese ersetzen aber nicht den persönlichen Kontakt.“ Das Thema „Alkohol“ ist für Schüler und Schülerinnen in diesem Alter ein wichtiges Thema, denn jeder und jede von ihnen hat damit in irgendeiner Form bereits Erfahrungen gesammelt.

Ein Zusammentreffen Kiesbyes mit der Tönninger Buchautorin sowie das unbedingte Interesse der Schule, die Präventionsarbeit wieder aufzunehmen, war eine glückliche Fügung. Die Beteiligung von Susanne Eilfeld, Mutter zweier erwachsener Kinder und trockene Alkoholikerin seit 14 Jahren, machte die Sache „rund“: Offen und ohne Umschweife erzählte sie als Betroffene während der Lesung von ihrer Sucht und von den Auswirkungen auf ihr Familienleben. „Kinder sind Meister darin Mechanismen zu entwickeln, mit denen sie ihrer Umwelt vorgaukeln können, die familiäre Situation sei in Ordnung“, so Andrea Niendorf. Sie begleitete über ein Jahr hinweg Jugendliche und junge Erwachsene, die in ihren Familien selbst Erfahrungen mit Alkohol hatten oder selbst bereits abhängig waren. Sie hatte zunächst die Absicht, ihre Erkenntnisse in einem Hörfunk-Feature aufgehen zu lassen; doch nach reiflicher Überlegung verwendete sie ihr Manuskript für ein Buch.   

In „Leon Flaschenkind“ geht es darum, dass der Elfjährige mit der Situation überfordert ist, seine eigenen Gefühle kaum zeigen kann und mit den Gefühlsschwankungen der alkoholabhängigen Mutter nur schwer umzugehen vermag. Es offenbart die menschlichen Abgründe, die in einer chaotischen Familiensituation kulminieren. Leon steht, genauso wie seine sechs Jahre jüngere Schwester, im Schatten des Krankheitsgeschehens: „Man fühlt sich ungeliebt und nicht wahrgenommen, das tut sehr weh“, so Susanne Eilfeld, die als Kind eine ähnliche Situation in der Familie durchzustehen hatte. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern werden wichtige Passagen erarbeitet und hinterfragt. Es geht um komplizierte Systeme wie Co-Abhängigkeit, mangelnde Abgrenzung und um die Entscheidung „weitermachen wie bisher“ oder doch lieber einen neuen Weg finden, als Familienangehöriger Zutrauen zu jemandem gewinnen, der gesprächsweise den „Druck aus dem Kessel“ nehmen kann und Möglichkeiten aufzeigt, wie das Ruder herumgerissen werden kann.

„Leon Flaschenkind“ ist nach Aussage der Autorin ein „spannendes Buch“ – und wie es letztendlich ausgeht, soll nicht verraten werden. Noch ist Andrea Niendorf auf der Suche nach einem Verlag. Bei der Lektüre sind Mitdenken und auch manchmal „Um-die Ecke-Denken“ gefragt sowie die Fähigkeit, sich in andere Personen hineinzufühlen. Fazit: eine anschauliche Lehrstunde über ein Thema, das jedem Menschen im Leben begegnet; besondere Griffigkeit erlangte die Lesung durch die Einbeziehung einer Betroffenen. Nur von Vorteil kann es sein, sich mit dieser Thematik so früh wie möglich gedanklich auseinanderzusetzen.

Text und Foto: Sonja Wenzel

Aus ihrem Buch „Leon Flaschenkind“ las Andrea Niendorf (links) in der achten Klasse der Ferdinand-Tönnies-Schule im Rahmen der Präventionsarbeit. Susanne Eilfeld (rechts) veranschaulichte viele Situationen aus eigener Erfahrung.

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