„Gewalt hat viele Gesichter, sie ist überall und mitten unter uns. Sie ist zudem äußerst facettenreich, sowohl sichtbar als auch unsichtbar. Gewalt kann psychisch, physisch und in sexualisierter Form ausgeübt werden“, sagt Franziska Probst, Leiterin des Kinderschutz-Zentrums Westküste in Husum. Zum Thema „Meine Eltern denken, ich bekomme nichts mit“ fand unlängst ein Fachkongress in Breklum statt, um für die spezielle Situation von Kindern zu sensibilisieren, die von der Gewalt-Problematik zwischen ihren Eltern als “Zaungäste“ betroffen sind.

Mit Vorträgen hochkarätiger Referenten und einer Reihe Workshops richtete der Kongress den Blick auf das gesamte Gefüge der von Gewalt betroffenen Familien, um Mechanismen und Dynamiken verstehbarer zu machen, sowie Unterstützungsmöglichkeiten aufzuzeigen – einerseits für die Elternteile, ganz besonders aber für die durch ihre Zeugenschaft oft schwer traumatisierten Kinder. Diese Veranstaltung wurde initiiert von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren und dem Kinderschutz-Zentrum Westküste. Sie fand im Christian-Jensen-Kolleg in Breklum statt.

Gewalt gegen Frauen werde im Moment stark thematisiert, aktuell befeuert durch die jüngst stattgefundenen Femizide auf offener Straße, äußerte Dr. Stefan Heinitz, Bundesgeschäftsführer von „Die Kinderschutz-Zentren“, dem Fachverband, in dem 32 Kinderschutz-Zentren bundesweit organisiert sind. Diese leisten eine unschätzbar wertvolle Arbeit: So waren es auch Kinderschutz-Zentren, die sich der Kinder annahmen, die Augenzeugen dieser schlimmsten und dramatischsten Gewalt-Ausprägung geworden waren; doch beginnend mit der kleinsten Auseinandersetzung müssen sich Kinder aktiv mit der Konfliktsituation zwischen ihren Eltern auseinandersetzen, die sie in Angst und Ohnmacht und dem Gefühl von Verzweiflung sowie völliger Schutzlosigkeit und Verlassenheit erleben. Die Zahlen sind alarmierend: Die polizeiliche Gewaltstatistik gibt rund 140.000 gemeldete Fälle an – „doch die Dunkelziffer ist hoch“, so Dr. Heinitz, denn: Angst, Scham und ein Gefühl der Demütigung hindern häufig die Opfer daran, sich zu öffnen und aktiv Hilfe zu suchen.

Um in dieser für Betroffene oft ausweglos erscheinenden Lebenssituation eine helfende Hand zu bieten, ist es wichtig, dass auch in ländlichen Regionen Kinderschutz-Zentren vorhanden sind und Beratungs- und Hilfsangebote bereithalten; denn Gewalt gibt es nicht nur in urbanen Gebieten – es ist eher so, dass Öffentlichkeit und Tabus auf dem Lande anders funktionieren und intensiver wahrgenommen werden. Das wurde in Husum vor 25 Jahren erkannt. „Wir bemerkten in der Erziehungsberatung immer mehr Fälle, die alle Formen von Gewalt im Hintergrund hatten“, erinnert sich Susanne Baum. Sie ist die Leiterin des Geschäftsbereichs „Beratung und Therapie“ beim Diakonischen Werk Husum (DW).

Die Initiative für eine Einrichtung zum Kinderschutz in Husum kam vom Land Schleswig-Holstein. Die damalige Frauenministerin des Landes, Angelika Birk, brachte das Projekt maßgeblich voran. So war das Kinderschutz-Zentrum in Husum zunächst ein Modellprojekt für den ländlichen Raum, von Anfang an jedoch in der Trägerschaft des DW. Eine „kleine Truppe, motiviert, begeistert und hochkompetent“, so Susanne Baum, habe damals die Arbeit im neu geschaffenen Kinderschutz-Zentrum aufgenommen. „Alle Gründungsmitglieder sind noch heute dabei“, freut sie sich. Auch DW-Geschäftsführer Volker Schümann blickt zufrieden auf ein Vierteljahrhundert erfolgreiches Wirken des Zentrums zurück: „Ich bin stolz auf die Mitarbeitenden und die Dienste, die sie täglich leisten“, sagt er.

Als „Gemeinschaftsleistung mit einem hervorragenden Team“ bezeichnen Susanne Baum und Franziska Probst die Arbeit des Kinderschutz-Zentrums und loben die stets vorhandene „politische Bereitschaft zur Unterstützung“ des Landes Schleswig-Holstein sowie die solide, wertschätzende Kooperation der beiden Landkreise Nordfriesland und Dithmarschen auf diesem Gebiet. Die gute Nachricht: Es gibt umfangreiche und konkrete Anstrengungen, die Situation von Gewalt Betroffener – besonders die von Frauen und Kindern – zu glätten und zu verbessern. Dafür steht speziell der Arbeitskreis „Kooperations- und Interventionskonzept gegen häusliche Gewalt“, der alle Akteure zur Optimierung der Schnittstellen an einem Tisch vereint. So ist in Schleswig-Holstein laut Dr. Heinitz die „flächendeckende Versorgung mit Kinderschutz-Zentren modellhaft gelungen“. Immer mehr finde eine „Ent-Tabuisierung“ von Gewalt statt, doch sei der Bruch dieses gewissermaßen unantastbaren und unberührbaren Phänomens ein langwieriger Prozess gewesen: „Heute ist die Problemwahrnehmung anders. Wir erleben mehr Sensibilisierung und mehr Offenheit als noch vor einigen Jahren“, erklärt er.

Text und Foto: Sonja Wenzel

Setzen sich gemeinsam mit unzähligen engagierten Akteuren für den Kinderschutz ein: Dr. Stefan Heinitz, Franziska Probst und Susanne Baum (von links)

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