Sonja Wenzel

Ein schlaksiger junger Mann in Turnschuhen vorne am Stehpult; die dunkle Haarmähne fällt bei seinen temperamentvollen Bewegungen in die Stirn; er liest laut, rasch, betont und mit markanter Stimme: Zu seiner traditionellen Aschermittwochslesung hat das Diakonische Werk Husum seine Freunde und Förderer eingeladen, die jetzt fasziniert dem 42-jährigen Schriftsteller lauschen, der aus seinem Buch „Herkunft“ vorträgt. Saša Stanišić, 1978 im alten Jugoslawien geboren, kam im Jahre 1992 als Flüchtling mit seiner Familie nach Heidelberg. Dort studierte der Sohn einer bosniakischen Politikprofessorin und eines serbischen Betriebswirts später Deutsch als Fremdsprache und Slawistik. Seitdem hagelt es öffentliche Anerkennungen: Nicht nur seine Magisterarbeit wurde mit einem Preis ausgezeichnet; auch seine späteren Erzählungen und Romane erhielten zahlreiche Preise. Sein neuester Roman „Herkunft“ ist ein Buch über Jugoslawien – ein Land, das es nicht mehr gibt und auch über Ankommen und Heimat – allerdings, wie die Moderatorin des Abends, Prof. Dr. Maria-Theresia Leuker-Pelties es auf den Punkt bringt: „Ohne Heimattümelei.“

Saša Stanišić erzählt von dem „Tag der Jugend“, der in seiner Kindheit mit großem Gepränge zelebriert wurde und von der Ehre, die ihm einst zuteilwurde, an diesem Tag eine höchst weihevolle, nahezu heilige Stafette ein Stückweit zu befördern. Übrigens weiß niemand so recht, wozu diese Stafette nützen soll, bis Jahre später herauskommt, dass es ohnehin nur eine Art unbedeutende „Nebenstafette“ war, die er so ehrfürchtig transportiert hatte. Er erzählt von seinen beiden Großmüttern, von denen die eine mit nahezu telepathischer Kraft weiß, was ihm guttut, während die andere ihm die Zukunft aus Nierenbohnen liest – kleine bis mittlere Irrtümer eingeschlossen. Er schaut zurück auf seine Schulzeit, auf den ersten Schultag in Deutschland in einer Klasse, die bunt durchmischt ist, auf den „Koffer aus Sprache“, der ihm das Leben peu à peu leichter macht, auf den Zahnarzt mit Clark-Gable-Schnurrbart, mit dem er – neben seinem Opa Mohammed – schweigend am Neckar stehen kann und vor nichts Angst hat.

„Herkunft“ ist ein autobiografischer Roman, in dem bestimmte „Herkunftsmomente“ gesetzt werden, „Momente der Zweifellosigkeit“, wie es der Autor im anschließenden Gespräch mit der Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Maria-Theresia Leuker-Pelties erklärt. Es gehe darum herauszuarbeiten, was gewisse Momente oder Umgebungen – beispielsweise das Dorf, in dem sein Großvater geboren wurde – mit der Hauptperson des Buches anstellen und was des Erzählens wert sei: „Ich löse Begrifflichkeiten in Geschichten auf, zeige Beispiele der unterschiedlichen Herkünfte, aus denen sich mein Leben speist.“ Eines ist ihm ganz wichtig: „Ich bringe zwar Beispiele, nutze sie aber nicht zu politischen Schlussfolgerungen und ideologisiere nicht.“

Im Rückblick haben er und seine Familie – trotz des Neuanfangs in einem unbekannten Land – Glück gehabt: „Wohlwollende Stellen beim Diakonischen Werk in Heidelberg sowie freundliche und bemühte Mitarbeitende bei den Ämtern, die sich Zeit nahmen“, begleiteten den Weg der Familie. So gelang es letztlich auch, eine Abschiebung zu verhindern und stattdessen die Auswanderung der Eltern in die Vereinigten Staaten einige Jahre später zu unterstützen.

Die Angebote, die das Diakonische Werk bereithält für Menschen in Not, aber auch, damit sich diese mit gelinder Unterstützung weiterentwickeln können, sprach der Aufsichtsratsvorsitzende des Diakonischen Werk Husums, Prof. Dr. Stefan Krüger, in seinen Begrüßungsworten an. Doch das Gefüge der vielfältigen Hilfen funktioniere nur durch die Zugewandtheit aller Freunde und Förderer – so die Dankesworte von Prof. Dr. Krüger. „Sie ermöglichen auf diese Weise eine Weiterentwicklung der diakonischen Arbeit. Dies und die gelebte Verbundenheit mit der Region fördert außerdem die Motivation der Mitarbeitenden.“

Die Veranstaltung schloss mit kleinen kulinarischen Schmankerln „auf die Faust“ aus der Küche des Christian-Jensen-Kollegs ab – zwangloser „Schnack“, Kontakteknüpfen und Revuepassieren der soeben genossenen Lesung inbegriffen.

Von links nach rechts: Volker Schümann, Saša Stanišić, Prof. Dr. Maria-Theresia Leuker-Pelties, Prof. Dr. Stefan Krüger

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