Es war eine geschickt durchdachte, behutsame Annäherung an das umfangreiche Werk der Husumer Autorin Margarethe Böhme (1867 – 1939), die die Darstellerinnen der „Frauentheatergruppe 5plus1“ im Rahmen der Ausstellung „Kunst trotz(t) Ausgrenzung“ als szenische Lesung im Kulturkeller präsentierten. Die Wanderausstellung, die noch bis Mitte August zu sehen ist, ist ein Projekt des Diakonischen Werks Husum. Christiane von Ahlften, Karin Moortgat und Angelika Zöllmer-Daniel, zeitweise auch Eva-Susanne Bruns als Margarethe Böhme, hatten akribisch recherchiert und lasen aus zeitgenössischen Rezensionen, Kritiken und Leserbriefen.

Sie ließen auch Margarethe Böhme selbst zu Wort kommen mit eigenen Stellungnahmen: Eine Frau und Schriftstellerin, die die Situation von Frauen zu damaliger Zeit durch und durch kannte und auf die Verachteten, Verlorenen, auf die Ärmsten der Armen schaute: Jene Frauen, die, unverheiratet, „eine Zukunft wie eine schwarze Wand“ hatten, stets leidend unter gesellschaftlichen Repressalien, unter Doppelmoral und Ungerechtigkeiten. Margarethe Böhme hatte ein sensibles Gespür für die Verwerfungen der Gesellschaft und legte in ihren sozialkritischen Romanen mit Scharfblick und innerem Feuer den Finger in viele Wunden.

Sie sprach Probleme an, die noch heute brennend aktuell und frisch sind und nichts an Aktualität eingebüßt haben: Jede denkende Kollegin müsse auf der Seite der Arbeitenden stehen, denn sie werden von den öffentlichen Arbeitgebern ausgebeutet, sagt die junge Telefonistin Christine Immersen im gleichnamigen Roman. Auch sei nicht nachvollziehbar, weshalb nicht auch Frauen Karriere machen dürfen, sondern, von Männern beaufsichtigt, lebenslang gebunden seien an den subalternen Dienst. Wie mutig ist in damaliger Zeit ein Leserbrief vom November 1913, in dem ein Zusammenschluss von Postbeamtinnen die Gleichstellung von Mann und Frau fordert sowie die gewerkschaftliche Organisation empfiehlt und die „Minimalität der Rechte im Verhältnis zu unseren Pflichten“ anprangert.

Margarethe Böhme wurde in der Presse hochgelobt. Sie schrieb über 40 Romane, von denen manche in Deutschland weniger Beachtung erfuhren als im Ausland, wie beispielsweise „WAGMUS“, der Roman über Warenhausangestellte, die ihre Jugend opfern für einen „Staat im Staate“: Mit überraschend modernem Ansatz kritisiert sie darin den Ruin kleiner Geschäfte durch Warenhäuser, die ungerechte Verteilung des Kapitals für „wenige Herren, aber viele Knechte“ und lässt eine Protagonistin eine Alterspensionskasse fordern für jene, die den Unternehmen das Geld verdienen. Im Jahre 1905 erschien ihr bekanntestes Werk „Tagebuch einer Verlorenen“, das nach Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ in Bezug auf Verkaufszahlen in Deutschland an zweiter Stelle stand. Es wurde sehr beachtet und gelobt als „ein authentischer Beitrag zu brennenden Fragen unserer Tage“ und war bald vergriffen. Nach kaum einem halben Jahr waren 55.000 Exemplare verkauft, nach zwei Jahren erschien die 100. Auflage. Es wurde in 14 Sprachen übersetzt und verkaufte sich – allein in Deutschland – bis Ende der 1920er Jahre 1,2 Millionen Mal. Gegen Mitte der 1930er Jahre wurde es um Margarethe Böhme ruhig. Sie starb im Jahre 1939. Ihre Themen wurden erst Jahrzehnte später wieder in der Frauenbewegung aufgegriffen.

Sei es das Buch „Millionenrausch“, das das „Kriegsgewinnlertum“ kritisiert und auf die durch Industrialisierung entstehenden Verwerfungen und Umbrüche abzielt, sei es „Im Irrlichtschein“, in dem es um den Hass gegen Anderssein geht oder sei es die Geschichte der mutigen Sarah von Lindholm, Werftbesitzerin und Unternehmerin, die argwöhnisch beäugt wird, da sie nicht in das übliche Bild passt: Die Frauen von „5plus1“ brauchen nicht viel Staffage. So steigern sie die Ausdruckskraft und fokussieren auf das Wesentliche. Eine fast authentisch bekleidete Margarethe Böhme, außerdem ein paar Stühle, zwei Würfel, auf denen die Manuskriptmappen abgelegt werden, Kapotthütchen und Täschchen, um eine Versammlung von jungen Angestellten zu mimen, Kopftücher, um einen Tratsch im Treppenhaus darzustellen, ein übergroßer Regenmantel und ein „Elbsegler“ auf der Frisur für Sarah von Lindholm – mehr nicht.

Musikalisch wurde die Veranstaltung umrahmt von Rosalie Ueth, einer jungen Künstlerin, die in Dänemark Musik studiert hat und auf ihr Visum nach Brasilien wartet, um dort musikalisch weiterzuarbeiten. Auf der Gitarre begleitete sie sich zu brasilianischen, melancholisch-melodischen Liedern auf Portugiesisch, die von Liebe, Verlassenwerden, Trauer und Zorn handelten. Ein Abend mit erstaunlichen Einblicken in das Leben einer großartigen Schriftstellerin und exotischer, selten gehörter Musik. Prädikat: Empfehlenswert.

Text und Foto: Sonja Wenzel

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