Sonja Wenzel
Auch wenn sie seit einigen Tagen Vergangenheit ist: Ihre Aussagekraft wird noch lange in den Köpfen der Besucher und Besucherinnen nachklingen. „Deutsche Winterreise – ein Liederzyklus mit Geschichten von Menschen im Abseits“ – so lautete der Titel der Veranstaltung, die das Diakonische Werk Husum (DW) gemeinsam mit dem Freundeskreis der Bahnhofsmission Husum e.V. initiiert hatte.
Anlass war der „Tag der wohnungslosen Menschen“, der immer im September stattfindet. Regisseur und Autor dieser – hochkarätig besetzten und bemerkenswert in Szene gesetzten – Aufführung war Stefan Weiller. Es war eine gelungene, kluge Kombination aus Lesungen und Liedern: Meister und Meisterinnen ihres jeweiligen Faches aus Schauspiel- und Gesangskunst rückten mit ihrer Darbietung jene Menschen ins Rampenlicht, die am Rande der Gesellschaft stehen. Die Erfahrungen von Wohnungslosen, gleich welchen Alters und Geschlechts, hatte Weiller mit dem Liederzyklus „Winterreise“ von Franz Schubert und Texten von Wilhelm Müller verquickt und damit sein Publikum im Nordsee Congress Centrum tief berührt.
„Entscheidend bei dieser Veranstaltung war, dass die Wohnungslosigkeit in Deutschland nicht an Daten, Zahlen und Fakten festgemacht wurde. Vielmehr kamen Betroffene zu Wort, die Stefan Weiller in ganz Deutschland nach ihrer Lebenssituation befragt hatte“, so DW-Geschäftsbereichsleiterin Adelheit Marcinczyk. Der „Kniff“ bei dieser Inszenierung war, dass Wohnungslose sich nicht direkt äußerten; diesen Part übernahmen vertretungsweise Schauspieler und Schauspielerinnen. Dabei wurde die bedrückende Lebenslage dieser Menschen offenbar, die mit viel innerem Kraftaufwand jeden Tag für sich neu organisieren und verwalten müssen. Aspekte, die für „normal behauste“ Personen überhaupt nicht relevant sind, erschienen plötzlich in einem ganz neuen Licht, wurden drängend und dringend, beispielsweise, wo und wie die Habe tagsüber unterzubringen ist oder wo und wie ein wenig Privatsphäre geschaffen werden kann. Verstörend war auch der Gedanke, dass für Wohnungslose eben keinesfalls die Vorweihnachtszeit und das „Fest der Feste“ so schwer zu ertragen sind, sondern dass es ganz andere Phasen sind, wie beispielsweise im Frühsommer, wenn diese Menschen schon längst wieder vergessen worden sind. „Eindrucksvoll und nachdenklich machend“ – das war die Grundstimmung all jener, die diese Veranstaltung besucht haben. Großartig waren auch der Erwachsenenchor der TSS, die namhaften Solisten und Solistinnen sowie der Pianist Hedayet Djeddikar, die den Schubert’schen Liederzyklus – durchaus eine Herausforderung – intonierten.
Insgesamt waren 24 Eintrittskarten für Menschen mit geringem Budget reserviert worden – sie wurden gesponsert von den drei regionalen Lions-Clubs. „Es waren Geschichten wie aus meinem eigenen Leben.“ Oder: „Es war keine leichte Kost.“ Den „beeindruckenden Perspektivwechsel“ merkten viele Besucher und Besucherinnen an. „Die Winterreise hat ihr Ziel erreicht“, sagen Verena Wend und Jens Lösche vom Freundeskreis der Bahnhofsmission. „Wir konnten Menschen aus Husum und Umgebung für Wohnungslosigkeit sensibilisieren und die Sinne ansprechen. Schon allein die 50 Sängerinnen und Sänger des Chores haben mit ihrem Gesang das Publikum ergriffen.“
Für Stefan Weiller war dies seine letzte „Deutsche Winterreise“ in Kooperation mit einem sozialen Träger. Darin, so der Künstler, sei er „fest entschlossen“. Aber: „Mein Kunstprojekt ‚Deutsche Winterreise‘ ist und bleibt in der Welt und wird hoffentlich im Kulturbereich weiter aufgeführt. Es gehört eigentlich an ein Theater.“ Er möchte sich neuen Werken widmen. Fest stehe, dass diese „Winterreise“ ihn verändert habe. Ein intensiver Moment sei am Ende die „anhaltende Stille“ gewesen. Die Arbeit der Bahnhofsmission ein Stückweit zu erleichtern und möglicherweise dabei zu unterstützen, sie an neue Gegebenheiten anzupassen – das hat sich der „Freundeskreis der Bahnhofsmission e.V.“ auf die Fahnen geschrieben. Denn die Bahnhofsmission – mit angegliederter Wohnungslosenhilfe – ist die erste Anlaufstelle für Menschen in Bedrängnis und eben auch für solche, die kein schützendes Dach über dem Kopf haben. Deshalb sind Spenden stets herzlich willkommen auf dem Spendenkonto DE80 2175 0000 0121 2297 69 bei der Nospa.