„Man sollte das Flüchtlingsproblem weiterdenken“, lautet die Überzeugung von Christine Wittstock, Leiterin der Migrations-Fachstellen des Diakonischen Werks Husum. „Viele Geflüchtete bleiben hier und schlagen Wurzeln in ihrer neuen Heimat. Sie haben andere Lebenshintergründe als wir und werden diese immer behalten. Niemand kann seine Persönlichkeit wie eine Hülle an der Grenze abgeben. Wir sollten uns auf unsere neuen Mitbürger und -bürgerinnen einlassen.“

Am 20. Juni ist Weltflüchtlingstag. Dieses Datum ist Grund genug sich ins Gedächtnis zu rufen, dass in diesem Moment weltweit rund 100 Millionen Menschen auf der Flucht sind – sei es aufgrund von Krieg oder Verfolgung oder deshalb, weil ihnen mehr und mehr die Existenzgrundlage genommen wird. Auch der Kreis Nordfriesland ist davon berührt: „2.184 Personen haben aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen einen Aufenthaltstitel, 388 Menschen befinden sich im Asylverfahren und 719 sind geduldet“, teilt die Pressestelle des Kreises Nordfriesland mit.

Eine wichtige Aufgabe, den Neustart für die Neuankömmlinge so problemarm wie möglich zu gestalten, kommt den Sprach- und Kulturmittelnden zu. Dazu Peter Martensen, Integrationsbeauftragter des Kreises Nordfriesland: „Die Arbeit dieser Menschen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es war eine der wichtigsten Lehren aus den Jahren 2015 und 16, dass ein wirklicher Zugang zu den Geflüchteten nur gelingen kann, wenn man auf Augenhöhe in deren Sprache mit ihnen kommuniziert, so lange sie noch keinen Integrationskurs absolviert haben.“ Haupt- und Ehrenamt haben, auch im Hinblick auf die Unterbringung Geflüchteter aus der Ukraine, Großes geleistet, betont Martensen.

Einer der Sprach- und Kulturmittelnden, die bei der Fachstelle Migration in Tönning diese Aufgabe versehen, ist der aus dem Irak stammende Alaa Ahmad, der im Jahre 2014 nach Deutschland kam – also zu einer Zeit, als es weder Netzwerke noch ziel- und passgenaue Unterstützungsangebote gab. „Ich war mir selbst überlassen“, fasst er seine eigene Verlorenheit in Worte, als ihn ein dicker, amtlicher Brief wenige Monate nach seinem Eintreffen in Deutschland erreichte und völlig überforderte. Alaa Ahmad hat es mit eisernem Willen, Zielstrebigkeit, Flexibilität und einer Odyssee geschafft, das amtliche Rätsel zu lösen und ist knapp ein Jahr, nachdem er hier ankam, Mitarbeitender der Fachstelle Migration Eiderstedt geworden. „Die Menschen, die mich heute kontaktieren, nehmen Unterstützung dankbar an und sind erleichtert. Ohne die sinnvolle Arbeit der Sprach- und Kulturmittelnden hätten sie kaum Chancen sich zurechtzufinden.“ Doch es geht nicht nur um die Mittlung zwischen den verschiedenen Sprachen, es geht auch um Hilfestellung beim Einleben in einen völlig fremden Kulturkreis: „Es sind oft Fragen des alltäglichen Lebens, die Kopfzerbrechen bereiten“, erklärt Alaa Ahmad. Oft gehe es beispielsweise um Vertragsrecht oder auch um so banale und dennoch wichtige Dinge wie die Mülltrennung. 

„Das Wichtigste ist für Neuankömmlinge, dass jemand da ist, der ihre Sprache spricht, die Gewohnheiten im Ankunftsland kennt und den neuen Alltag erklären kann“, ist Vasyl Skakalskyy überzeugt. Der Ukrainer kam im Jahre 2003 über Griechenland nach Deutschland und ist jetzt Sprach- und Kulturmittler für Ukrainisch und Russisch bei den Fachstellen Migration Husum und Umland sowie Eiderstedt. Er musste sein Leben hier völlig neu aufbauen und hat in verschiedenen sozialpädagogischen Einrichtungen gearbeitet. Im „Land der Dichter und Denker“ ist es nach seiner Überzeugung „unvermeidlich, eine sprach- und kulturmittelnde Person an der Seite zu haben“. Denn irgendwann komme man als Neubürger an einen Punkt, an dem man die neuen Gegebenheiten nicht mehr verstehe: „Dann muss man als Sprach- und Kulturmittelnder Erklärungsarbeit leisten. Das fördert den Integrationsprozess.“ Vasyl Skakalskyy geht sogar noch einen Schritt weiter: Ihm persönlich reicht es nicht, nur in Fragen der Alltagsbewältigung zur Seite zu stehen. Der jeweilige Unterbau aus Kunst, Musik und Literatur fördere das Verständnis zu einem großen Teil.

Doch manche sehnen sich nach ihrer angestammten Heimat. „Insbesondere unter den Flüchtlingen aus der Ukraine sind viele, die gern schnell wieder zurückgehen würden. Menschen aus Ländern mit anhaltenden Kriegen haben dagegen kaum Hoffnung, jemals wieder lebenswerte Zustände vorzufinden. Die Rückkehrbereitschaft nimmt ab, je länger ein Konflikt andauert“, so Peter Martensen. Wie dem auch sei: „Integration funktioniert am besten, wenn man die Neugier und das Interesse an den neuen Mitbürgern und -bürgerinnen behält“, lautet die Meinung von DW-Bereichsleiterin Adelheit Marcinczyk. „Beide Seiten dürfen einander gern Fragen stellen.“

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