Sonja Wenzel
„Sucht“ kann viele Gesichter haben: Sie kann sich in Drogen- oder Alkoholabhängigkeit manifestieren, in Ess-Störungen, Glücksspiel-, Medien- oder Kaufsucht. Süchte haben ein großes zerstörerisches Potenzial; doch man kann ihnen begegnen und Betroffenen wirksame Hilfe anbieten. Hier setzt die „Behandlungs- und Beratungsstelle für Suchtfragen“ an, die seit vielen Jahren beim Diakonischen Werk Husum angesiedelt ist und in diesen Tagen 50 Jahre alt wird. Ihre Anfänge waren bescheiden. Sie gehörte zunächst zum Kirchenkreis Nordfriesland in einem Büro der Friedenskirche und ging später in die Zuständigkeit des Diakonischen Werks Husum über.
Viel öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr die Beratungsstelle, als die Arbeit mit Diplom-Sozialpädagoge Dieter Pelties – heute im Ruhestand – rundherum professionell wurde. Er übernahm im Jahre 1991 die Aufgaben und erkannte die Zeichen der Zeit: Pelties und sein Team schufen aus der klassischen Beratungsstelle für Alkoholkranke neue Hilfsangebote für Drogenabhängige und Gefährdete, installierten nach einem halben Jahr eine Selbsthilfegruppe und etwas später eine Gruppe für deren Familienangehörige. Recht bald kam eine weitere für an Aids erkrankte Personen hinzu sowie eine für Menschen mit Ess-Störungen. „Aus der Suchtberatung entstand zudem eine Reihe von Arbeitsprojekten, um Betroffenen eine Lebens-Perspektive zu geben und ihnen zu zeigen, dass sie wichtig sind und gebraucht werden“, so Pelties. Es entwickelten sich Einrichtungen, die heute fest in der Stadt verankert sind. Dazu gehören unter anderem die Radstation am Bahnhof, die unbürokratischen Hilfsangebote der Bahnhofsmission oder die aufsuchende Sozialarbeit der Streetwork. „Noch heute freue ich mich, wenn mich ehemalige Klienten ansprechen und aus ihrem Leben berichten, das oftmals eine positive Wendung genommen hat“, sagt er. Andererseits hat es ihn tief berührt, dass einige Menschen den Weg aus ihrer Drogenabhängigkeit nicht geschafft haben und verstorben sind.
Einen großen Stellenwert nahm recht bald die Prävention ein: In Schulen, mit und ohne Lehrkräfte oder Eltern und sogar direkt – mitunter wochenweise und sehr intensiv – in der Klinik in Breklum. „Wir haben uns stets in einem dynamischen Prozess befunden, sind nie stehengeblieben und haben Lücken im Angebot ausfindig gemacht“, sagt Dieter Pelties. Das bestätigt auch Monika Weiss-Menke, die im Jahre 1996 aus der Berliner Aidshilfe zur Beratungsstelle für Suchtfragen beim Diakonischen Werk Husum wechselte. „Wir Mitarbeitende haben stets viel von unserer eigenen Persönlichkeit in diese sehr lebendige Beziehungsarbeit eingebracht.“ Ab dem Jahre 2017 leitete sie die Beratungsstelle und ist seit einiger Zeit im Ruhestand. Sie blickt auf 35 Jahre Suchtarbeit zurück. Gleichgültig, ob Prävention, klassische Beratung oder ambulante Reha: Monika Weiss-Menke ist von der heilenden Wirksamkeit ehrlicher Beziehungen überzeugt: „Beziehungsarbeit, Auge in Auge und von Mensch zu Mensch, ist enorm wichtig. Menschen erkranken, wenn die Beziehungen nicht stimmen“, lautet ihre Erfahrung. In ihrer Zeit war die Corona-Epidemie und ihre Auswirkungen auf die Menschen ein beherrschendes Thema. Auch die daraus resultierenden Veränderungen in der Kommunikation – beispielsweise per Videokonferenz – wurden immer bedeutsamer.
Seit zwei Jahren ist Roland Linder aus Baden-Württemberg, ein „alter Hase“ auf dem Gebiet der Suchtbehandlung, Leiter der Beratungsstelle für Suchtfragen. „Künstliche Intelligenz“, oder einfach „KI“ läutet nach seinen Worten eine neue Ära der Suchtberatung ein. „Menschen bauen Beziehungen zu Maschinen auf, insofern also auch zur KI.“ So könne KI durchaus die Empfehlung geben, eine Beratungsstelle aufzusuchen und sei insofern in der Lage, die Arbeit maßgeblich unterstützen.
Wie dem auch sei – wohltuend ist sicherlich, dass die beiden Sekretärinnen Heike Burkhardt und Anita Aleidt die ersten Anlaufstellen sind, die „den Druck aus dem Kessel“ nehmen können, wenn jemand allen Mut zusammengenommen hat, seiner Sucht den Kampf anzusagen. Die innere Überwindung, den Kontakt zur Behandlungs- und Beratungsstelle aufzunehmen, die jetzt übrigens wieder in der Friedenskirche verortet ist, mag nicht immer leicht sein. Aber: „Wir freuen uns, wenn wir jemandem mit Ruhe die Angst nehmen können. Wir machen den Menschen klar, dass dies ein absolut geschützter Raum ist, aus dem nichts hinausgeht. Jeder und jede soll sich angenommen und gesehen fühlen. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe und mit einem Lächeln – auch am Telefon“, sagen sie.