Sonja Wenzel

Es ist ein hochbrisantes Thema: „Die Zahl der ordnungsrechtlich untergebrachten Personen steigt. Letzte Statistikzahlen sprechen von 18 Prozent Zunahme“, so Adelheit Marcinczyk, Geschäftsbereichsleiterin beim Diakonischen Werk Husum. Ihr größter Wunsch sei es, dass sich die Situation der Menschen, zeitnah und nachdrücklich zum Guten wende. Wenn auch manche positive Änderung lange auf sich warten lässt, so gibt es doch viele Zeitgenossen, die dann genau hinschauen, wenn andere längst betreten den Blick gesenkt und sich abgewandt haben. Stefan Weiller, Autor, Künstler und Regisseur, ist einer von ihnen. Gemeinsam mit dem Diakonischen Werk Husum und dem Freundeskreis der Bahnhofsmission Husum e.V. ist es gelungen, die „Deutsche Winterreise – ein Liederzyklus mit Geschichten von Menschen im Abseits“ nach Husum zu bringen. Die Veranstaltung findet am 14. September um 19:30 Uhr im NCC Husum statt und nimmt jene in den Fokus, die kaum eine Lobby haben und am Rande der Gesellschaft stehen.

„Es ist kein politischer Appell, sondern ein Kunstwerk – ohne Larmoyanz und ohne Klischeebilder zu erfüllen“, so Stefan Weiller, der anlässlich der Vorbereitung der Veranstaltung Rede und Antwort stand. Der studierte Sozialpädagoge ist Autor dieses deutschlandweit angelegten Kunstprojekts und hat es zum ersten Mal im Jahre 2009 in Wiesbaden als „Hörprojekt mit visuellen Impulsen“ umgesetzt: Die Erfahrungen mit Wohnungslosen, gleich welchen Alters und Geschlechts, hat er verwoben mit dem Liederzyklus „Winterreise“ von Franz Schubert und Texten von Wilhelm Müller. Im Jahre 1828 wurde der Zyklus, bestehend aus 24 Liedern, in Wien vorgestellt. „Ein Wanderer mit enttäuschten Hoffnungen“, so Stefan Weiller, „findet am Ende seiner Reise etwas – vielleicht sogar den sozialen Tod.“ Jener kündige sich in der Realität an durch konkrete, unangenehme Umstände: Rechnungen, die nicht bezahlt werden, Mahnungen, die unbeachtet bleiben: Die „Deutsche Winterreise“ sei ein Sittengemälde von Menschen in Not. Besonders berührend sei dabei die Not von Frauen, so der Künstler, der seit 15 Jahren „auf Recherchereise“ ist und das Gesamtgefüge so konzipiert hat, dass keine Betroffenen auf der Bühne stehen, sondern diese von Künstlern und Künstlerinnen repräsentiert werden. Die Mitwirkenden sind hochkarätig und blicken auf lange Bühnenerfahrung zurück: Eva Mattes und Brigitta Assheuer, Thilo Dahlmann und Till Butterbach, Ulrike Malotta und der Pianist Hedayet Djeddikar. Die Singstimmen werden getragen vom Erwachsenenchor der Theodor-Storm-Schule (TSS) unter der Leitung von Julian Gunkel. „Wir freuen uns, die Veranstaltung mit dem Chor begleiten zu dürfen. Dieses Projekt ist für uns alle etwas Neues“, so Gunkel. Etwa 60 Sängerinnen und Sänger werden voraussichtlich am Start sein.

Jens Frank ist Abteilungsleitung für Niedrigschwellige Hilfen. Die DW-Einrichtung steht für unbürokratische, schnelle und schlichte Hilfe für die grundsätzlichen Bedürfnisse, in der allersten Not. Er sieht aus seiner Erfahrung einen Wandel in der Klientel der Wohnungslosenhilfe. Letztere ist ebenfalls in der Bahnhofsmission verortet. „Wohnungslosigkeit ist sichtbarer, weiblicher geworden.“ Großes Engagement zeigt auch der kleine, aber hochaktive „Freundeskreis der Bahnhofsmission Husum e.V.“, dessen erste Vorsitzende Verena Wend die „Deutsche Winterreise“ als Möglichkeit sieht, den Förderverein noch bekannter zu machen: „Vielen Menschen sieht man ihre Notlage nicht an – daher unterstützen wir dieses Projekt. Wir freuen uns, wenn der Überschuss aus der Veranstaltung dem Förderverein zugute kommt und damit den Gästen der Bahnhofsmission das tägliche Dasein erleichtert werden kann.“

Weiller positioniert sich klar: „Es ist kein Charity-Konzert, sondern ein soziokulturelles Werk mit sozialen Trägern. Es rüttelt auf und reißt am Gemüt, es ist etwas gegen Empathielosigkeit und Kälte. Ich wünsche mir viele junge Menschen im Publikum.“ Es geht darum, den inhaltlich treu dargestellten Lebensgeschichten zuzuhören und „hinterherzufühlen“. Weiller wird sich in Kürze anderen Projekten zuwenden: Nach der Veranstaltung in Husum wird es noch eine letzte unter seiner Ägide geben – im Kloster Knechtsteden bei Dormagen. Gründlich hat er sich mit den Menschen befasst, die in Husum von Wohnungslosigkeit und anderen Nöten betroffen sind. Seine innere Haltung changiere zwischen „Hoffnung und Verzweiflung“, äußert er. Doch er gebe seinen Optimismus nicht auf: „Es gibt so viele Engagierte, die für mich ‚Heilige‘ sind. Ich habe höchsten Respekt vor Menschen, die sich in ihrer Freizeit für andere einsetzen.“ Adelheit Marcinczyk dankte dem Regisseur und Künstler mit den Worten: „Ich schätze es sehr, dass Sie sich mit unserer Stadt vertraut gemacht und sich mit unseren Einrichtungen beschäftigt haben.“ Die Veranstaltung wird unter anderem gesponsert von der zivilgesellschaftlichen und sozialen Organisation GLS Treuhand e.V., der NOSPA Kulturstiftung, der VR Bank Westküste und dem Freundeskreis der Bahnhofsmission Husum e.V.; den Kartenvorverkauf übernimmt zuverlässig die Schlossbuchhandlung. Die Lions-Clubs Husum, Goesharde und Uthlande sponsern 30 Karten für Menschen mit Bedarf. Bei Interesse können sie sich im Diakonischen Werk Husum unter 04841 691410 oder unter info@dw-husum.de melden.

Von links: Adelheit Marcinczyk, Till Butterbach, Julian Gunkel, Stefan Weiller, Verena Wend und Jens Frank

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