Zu dem Vortrag „Was ist denn nur mit Paula und Yunis los? Der Alltag mit seelisch verletzten Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien“ hatte das Kinderschutz-Zentrum Westküste eingeladen. Mehr als 80 Pflegeeltern und Fachkräfte aus dem Jugendamt und Beratungsstellen, sowie anderen Einrichtungen in Nordfriesland und Dithmarschen waren gekommen. Als Referentin konnte Irmela Wiemann, Psychologische Psychotherapeutin, Familientherapeutin und Autorin mehrerer Fachbücher gewonnen werden. Sie war früher selbst Pflegemutter und kommt aus Frankfurt, wo sie weit über drei Jahrzehnte in einer Erziehungsberatungsstelle arbeitete. Bereits im Jahre 1978 habe Irmela Wiemann begonnen, sich auf die Probleme von abgebenden und aufnehmenden Eltern zu spezialisieren. Mit einem aufschlussreichen Rollenspiel verdeutlichte die Referentin das Bild von dem spannungsreichen Umfeld, in dem sich traumatisierte junge Menschen in Pflegefamilien bewegen. Im Mittelpunkt stand die siebenjährige Paula, deren Mutter verstorben ist. Ihr Vater hat genug mit sich zu tun und kann das Kind nicht selbst erziehen – er ist in sechswöchigem Rhythmus ein „Besuchsvater“. Die Kleine kommt mit dreieinhalb Jahren in eine Pflegefamilie und ist stets hin- und hergerissen in einem unübersichtlichen Gefühlswust aus Bindungsängsten, Ohnmacht, Ausgeliefertsein und dem Wunsch nach Kontrolle und Macht. Familie, Therapeuten, Nachbarschaft und Schule – alle sind eingebunden in vielschichtige Mechanismen aus Hilflosigkeit, Verzweiflung und Ratlosigkeit.

An dieser Stelle ist die Traumapädagogik ein segensreicher – wenngleich noch ziemlich neuer – Therapieansatz, der alle Beteiligten mit einbezieht. Das Konzept ist, die Beweggründe, die das Kind für sein Verhalten hat, in den Fokus zu rücken. „Übliche Erziehungsregeln werden über Bord geworfen. Erst dann können die alten Wunden in der Kinderseele zum Heilen gebracht werden. Mit Druck und Sanktionen erreicht man nichts und zerstört das Bindungssystem noch weiter“, so Irmela Wiemann. Das Kind wird so angeleitet selbst zum „Experten für seine besondere Situation“ zu werden.

„Ein traumatisiertes Kind hat Angst, das eigene Ich zu verlieren. Es möchte deshalb stets aktiv im Mittelpunkt stehen und in einem unübersichtlichen Gefüge die Regie übernehmen. Damit gelingt es ihm, sich selbst zu definieren“, erklärte Irmela Wiemann weiter. Das Kind muss seine Rolle innerhalb der Pflegefamilie verstehen lernen und erfahren, dass auch seine Pflegeeltern stets ein Teil von ihm sein werden. Der große Kummer des Kindes über das „Weggegebenwordensein“ zu Pflegeeltern darf Platz haben, es darf sich benachteiligt und unglücklich fühlen. Dieser Umweg muss gestattet sein, damit das Kind mit seiner Lebenssituation nach und nach Frieden schließen kann. Auf dem „Umweg“ braucht es Assistenz, sicherlich auch Strukturen; doch bei Verletzung bestimmter Grenzen können Sanktionen „das kleine, erschreckte Kind“ aktivieren: dann  kann  die Seele nicht heilen.

Traumapädagogik gelingt, wenn sich die Erwachsenen „öffnen“ – wenn der leibliche Vater über die eigenen Unzulänglichkeiten mit seinem Kind spricht, die Lehrerin „den Spieß umdreht“ und dem Kind signalisiert, dass es beachtet wird und nicht untergeht, die Pflegeeltern die Wut des Kindes mit einer „Liebeserklärung“ beantworten und Pflegegeschwister wissen: Es gibt Turbulenzen in der Familie aufgrund der besonderen Situation. Ein Pflegekind braucht spezielle Unterstützung der Pflegeeltern und im sozialen Umfeld, um sich selbst zu organisieren.

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