Sonja Wenzel

„In jeder durchschnittlichen Schulklasse befinden sich drei bis fünf Kinder, deren Eltern mit einer psychischen Erkrankung zu tun haben. Bundesweit sind etwa 3,8 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen“, sagte Henner Spierling beim Fachtag „Kidstime – Gruppenangebot für Kinder psychisch erkrankter Eltern“, der kürzlich vom Diakonischen Werk Husum für Fachleute und Angehörige politischer Gremien organisiert worden war. Spierling, Diplom-Psychologe und Systemischer Therapeut, erklärte das Modell „Kidstime“: Es handelt sich dabei um ein professionelles Angebot für Kinder und Jugendliche und deren psychisch erkrankte Eltern. 

Sechs bis zehn Familien treffen sich etwa einmal im Monat unter Anleitung. Für den Ablauf der Veranstaltung gilt ein bewährtes Prinzip: Nach dem gegenseitigen Beschnuppern gibt es zunächst einen Input. „Dabei geht es um Erklärungen zu psychischer Erkrankung – vor allem für die Kinder“, so Henner Spierling. Sie haben meist drei zentrale Bedürfnisse, die ‚Kidstime‘ zum Gesprächsgegenstand macht:  Eine verständliche Erklärung dafür, dass die elterliche Erkrankung „nicht persönlich gegen das Kind gemeint“ ist, mindestens einen stabilen, zugewandten und als vertrauensvoll erlebten Erwachsenen mit einer Perspektive „von außen“ und die Erfahrung, mit der eigenen Situation nicht „allein auf weiter Flur“ zu stehen. Dann erfolgt Gruppenarbeit – für die Eltern und ihre Kinder getrennt. Letztere beschäftigen sich kreativ, wie mit Theater- und Rollenspiel. Die „Großen“ hingegen begegnen sich auf Augenhöhe und mit ähnlichen Erfahrungen: „Eltern sprechen mit Eltern; Erkenntnisse sind auf der Basis ähnlicher Lebensumstände leichter und flüssiger auszutauschen“, sagt Peter Stoffers, Leiter des Psychologischen Beratungszentrums bei Diakonischen Werk Husum. Der „Kidstime“-Nachmittag klingt aus mit gemeinschaftlichen Aktivitäten, beispielsweise mit einer gemeinsam eingenommenen Mahlzeit.

„Kidstime“ findet in offener Atmosphäre, aber dennoch in geschütztem Raum statt. Es ist generationenübergreifend und fördert den Austausch innerhalb der Familien – und seien sie noch so unterschiedlich. Der Zugang zu bestimmten Themen, die mitunter durchaus an den eigenen Grundfesten rütteln können, erfolgt gewissermaßen en passant. „Wir erleben dabei oft, dass nicht nur die Kinder eine Stärkung erfahren, sondern dass sich das Miteinander in den Familien verbessert – nicht zuletzt auch zwischen den Familien, denn häufig entstehen freundschaftliche Kontakte untereinander und damit ein möglicher Weg aus der Isolation“, fügt Henner Spierling an. 

Wichtig für alle Beteiligten ist die Erfahrung, „gemeinsam in einem Boot zu sitzen“, aber auch, dass psychische Erkrankungen grundsätzlich alle Menschen treffen können und dass sie behandelbar sind: „Allein diese Informationen können entlasten und dem Empfinden von Scham und Schuld entgegenwirken“, ergänzt der Diplom-Psychologe.

Bei diesem Programm geht es um den Aufbau von stabilem, belastbarem Vertrauen, um Miteinander und um das Erleben von Selbstwirksamkeit – oder, wie es Peter Stoffers ausdrückt: „Das Projekt wirkt im Kleinen, ist aber enorm wirkmächtig.“ Seit dem Jahre 2015 gibt es „Kidstime“ an mehreren Standorten in Deutschland. Das Diakonische Werk Husum darf stolz darauf sein, einer von insgesamt elf projektteilnehmenden Standorten bundesweit zu sein. Eine Förderung erfolgt bisher durch das Bundes-Gesundheitsministerium, eine Anschlussfinanzierung in Nordfriesland wird angestrebt.

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