„Ungewollte Schwangerschaft kann ein Alptraum sein, ein quälender Konflikt, der die Existenz der Betroffenen in ihren Grundfesten packt. Es gibt keine Kompromiss- oder Zwischenlösung, das Leben und die selbstbestimmte Lebensgestaltung der Frau steht gegen ein ungeborenes Leben, das ohne die Mutter nicht existieren kann“, sagte Susanne Baum anlässlich einer kleinen Feierstunde zum 40-jährigen Jubiläum der Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung. Sie ist Leiterin des Geschäftsbereichs „Beratung und Therapie“ im Diakonischen Werk Husum.

„Die Beratungsstelle in Husum ist ein elementarer Bestandteil des Beratungsangebots im kirchlichen Kontext und trotz knapper Kassen – ein Grundstein für gesellschaftliches Zusammenleben. Wir stehen an der Seite der Frauen, nicht gegen sie“, betonte Silke Willer in ihrem Grußwort. Sie ist Referentin für Schwangeren-(Konflikt)Beratung des Diakonischen Werks Schleswig-Holstein. Schwangere, die sich gegen das Kind entscheiden, müssen entkriminalisiert werden: „Der Paragraf 218 muss aus dem Strafgesetzbuch verschwinden.“ Letztlich seien Staat und Kirche bei diesem gesamtgesellschaftlichen Problem dafür verantwortlich, dass Rahmenbedingungen für eine lebenswerte Welt geschaffen werden.

Pastor Friedemann Magaard lobte die Arbeit der Beratungsstelle: „Ihre Arbeit dient der Stärkung des Lebens. Ich freue mich, dass es Menschen gibt, die diese Beratungstätigkeit mit Herz und Verstand ausführen. Doch es scheint, als würde man bei dem, was auf diesem Sektor errungen wurde, wieder zurückrudern.“ Schwangerschaftsabbrüche dürfen nicht kriminalisiert werden, aber auch nichts Beliebiges sein: „Ein Abbruch ist kein Verhütungsmittel.“ DW-Geschäftsführer Volker Schümann und Peter Stoffers, Leiter des Psychologischen Beratungszentrums, dankten für vier Jahrzehnte unermüdliche Arbeit: „Das Beratungsangebot ist unermesslich wichtig. Wir als konfessioneller Träger haben eine klare Position.“ Es gebe hier einen deutlichen Unterschied zur katholischen Kirche. Das betreffe die Sexualität als gute Gabe Gottes, die Haltung zu Verhütungsmitteln (erlaubt!) und die Unterstützung im Schwangerschaftskonflikt.

Frauen machen sich die Entscheidung nie leicht. Seit vier Jahrzehnten geht es darum, sie in einer schwierigen Lebenslage nicht allein zu lassen, sondern sie in einer ergebnisoffenen Beratung, die bislang gesetzlich noch vorgeschrieben ist, als selbstbestimmt handelndes Subjekt zu sehen in ihrer Entscheidungsfindung. Bevor ein Abbruch durchgeführt wird, muss eine Pflichtberatung stattgefunden haben – mit einer dreitägigen Bedenkzeit. Die Gründe für einen Abbruch können unsichere Wohn-, Partnerschafts- oder Arbeitsverhältnisse sein, vielleicht ist auch die Familienplanung abgeschlossen oder es fehlt die Kraft für weiteren Familienzuwachs. „Immer weniger Ärzte nehmen einen Abbruch vor und Krankenhäuser ziehen sich aus diesem Bereich zurück – das erfüllt uns mit Sorge“, so Susanne Baum. Der Einsatz für die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch sei für die evangelische Kirche nicht denkbar ohne den Einsatz für gute Bedingungen zum Kinder kriegen und zum Leben mit Kindern.

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin verschiedener Universitäten mit dem Hauptgebiet „frühe Elternschaft und frühe Eltern-Kind-Bindungen“ hielt daher Dr. med. Gabriele Koch von der Internationalen Psychoanalytischen Universität in Berlin (IPU) einen Vortrag zum Thema „Gut vorbereitet, gut begleitet beim Hineinwachsen in die Elternrolle“. Es erfordere Courage und Kraft, den Lebensweg gemeinsam mit Kindern zu gehen und sowohl Selbstverständnis als auch Identität zum Elternsein zu entwickeln. „Wir müssen uns immer wieder neu justieren in dem, was Elternschaft ausmacht.“ Eltern seien oft unsicher, aber auch wild entschlossen und entwickeln häufig eigene „Wir-schaffen-das-schon“-Durchhaltestrategien. „Erkunden von Hoffnungen und Ängsten, Halt geben, Mut machen, Gespräche, die Spuren hinterlassen: Beratungen helfen, die enorm weiten Möglichkeitsräume auszuloten, tradierte Normen zu erfassen und sich mit zunächst bedrohlich wirkenden Szenarien auseinanderzusetzen.“ Manche „Machbarkeitsillusion“ erweise sich durch die bevorstehende Elternschaft als nicht erfüllbar: „Sie korrigiert jugendliche Größenphantasien. Es erfolgt gewissermaßen ein Abschied von der Adoleszenz. Elternschaft erweitert den Lebenshorizont und begrenzt ihn gleichzeitig. Dies auch partnerschaftlich auszuhalten, zurückzufinden in Gemeinsamkeit, ist Schwerstarbeit.“ Die Vorbereitung „auf einen Menschen, den man nicht kennt“ und die Geburt ist eine Schnittstelle zwischen den Generationen und erfordert generative Fürsorge: „Wir werden Eltern und bleiben Kinder. Wir geben das weiter, was wir gelernt und erlebt haben.“ Elternschaft bedeute, sich auf einer Gratwanderung zwischen Narzissmus und Altruismus zu bewegen: Man hat etwas Einmaliges hervorgebracht und muss jetzt dem Kind gegenüber aufmerksam und emotional verfügbar sein – und dennoch Selbstfürsorge betreiben. In der Schwangerschaft sei die Seele eine Werkstatt, die Zukunft werde darin erbaut und immer wieder neu entwickelt. Sie finde nicht nur im Bauch, sondern auch in der Seele und im Herzen statt. Wichtig seien Selbstoffenbarung und Intimität in der Partnerschaft, um sich gegenseitig wirksam zu unterstützen. Auch, wenn eine frühe Bindung an das Kind durch traumatische Erfahrungen während der Schwangerschaft, durch Entbehrungen oder Gewalterfahrungen in der Lebensgeschichte überschattet sei, so sei dies kein Schicksal, sondern veränderbar. „Wir können Erfahrungen korrigieren und lernen, das eigene Verhalten zu reflektieren. Dies gibt uns eine klare Sicht auf die Realität und ist ein Schutzfaktor, der uns zu guten Eltern macht.“

Text und Foto: Sonja Wenzel

Peter Stoffers mit der Referentin Frau Dr. med. Gabriele Koch

Fotos: privat

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